100 Jahre Vogels-Ballhaus

 

Vogels Ballhaus ist seit 100 Jahren im Besitz der Familie von Mario Hoffmann.

Im Weiteren ein Artikel der LVZ-Muldental vom 20. Juni 2019, geschrieben von Frank Prenzel.

Das Grimmaer Traditionslokal Vogels Ballhaus befindet sich seit 100 Jahren in der Hand einer Familie. Das will Mario Hoffmann (55), der das Haus in vierter Generation betreibt, richtig feiern und lädt deshalb am 22. Juni ab 15 Uhr zum Jubiläums-Sommerfest ein – in Verbindung mit dem Oldtimertreffen am Oberwerder. Das Gebäude mit seiner wechselvollen Geschichte wüsste viel zu erzählen. Sogar Heinz Rühmann war hier nach dem Zweiten Weltkrieg zu Gast und spielte Theater.

Ein Versprechen hält der Name des beliebten Lokals allerdings schon lange nicht mehr, ein Ballhaus sucht der Gast vergebens. Die Glanzzeit rauschender Ballnächte lag in den 1920/30er-Jahren und endete mit dem Krieg. Steht man heute im ruinösen Saal, kann man nur noch mit viel Fantasie die rauschende Feste fühlen, die hier einst gefeiert wurden.

Mit der Schankerlaubnis von Urgroßvater Kötz beginnt die Geschichte

Die Familientradition nahm am 1. April 1919 ihren Anfang, als Hoffmanns Urgroßvater Otto Kötz die Schankerlaubnis erhielt. Grundstück nebst Lokal hatten Otto und Klara Kötz vom Vorbesitzer Max Vogel erworben und den eingeführten Namen Vogels Ballhaus übernommen. Ab wann genau das einstige Zollhaus zur Einkehr lud, ist dem heutigen Besitzer nicht bekannt. Er weiß aber, dass die Gaststätte zuvor Vogels Restauration hieß und Max Vogel den großen Saal anbauen ließ (Eröffnung 1903). Das älteste in Familienbesitz befindliche Foto zeigt das Haus noch ohne Saal.

Aus der Grimmaer Obstweinschänke wird ein Ballhaus

Otto Kötz, der den Beruf des Wirtes von der Pike auf erlernt hatte, erfüllte sich mit dem eigenen Gasthaus einen Lebenstraum. Als er 1924 noch die Grimmaer Obst- und Bärenweinkelterei erwarb, nannte er die Gaststätte Obstweinschänke Vogels Ballhaus. In seine Zeit fielen die Goldenen Zwanziger, aber auch Nazizeit und Weltkrieg. Zum Kriegsende nahmen zunächst deutsche Soldaten und später Flüchtlinge im Saal Quartier. Schon während der Kriegstage wurde aus dem einstigen Ball- ein Theatersaal. In den ersten Friedensjahren gastierte hier sogar Heinz Rühmann mit seiner Frau Hertha Feiler. „Vor ausverkauftem Haus spielten sie fünf Tage lang das Stück Der Mustergatte“, erinnert sich Eleonore Hoffmann (81). „Für die Requisiten haben sie meiner Mutter die Wohnung ausgeräumt.“ Jeden Abend strömten 900 Leute herbei. Auch der berühmte Tenor Herbert Ernst Groh stand auf der Ballhaus-Bühne.

Weil Ottos Sohn Alfred Kötz nicht aus dem Krieg zurückkehrte und vermutlich in russischer Gefangenschaft starb, übernahm um 1947 Schwiegertochter Charlotte Kötz das Lokal und führte es bis 1971. „Sie hatte ein schweres Los und bekam den Druck des sozialistischen Staates zu spüren“, weiß ihr Enkel zu berichten. Das Theater wurde ihr entzogen und ins Volkshaus verlegt. So gingen wichtige Einnahmen verloren. Während der Saal zum Lagerraum verkam, wurde aus dem Ballhaus ein klassische Kneipe, wo der Grimmaer Arbeiter zum Feierabend sein Bier zischte und eine Bockwurst aß.

Dritte Generation spürt Mangelwirtschaft des Sozialismus

Das blieb auch so, nachdem Eleonore Hoffmann, geborene Kötz, in dritter Generation das Gasthaus fortführte und mit der Mangelwirtschaft des Sozialismus zu kämpfen hatte. Sie war nicht vom Fach, „ich bin da reingewachsen“, erzählt die 81-Jährige, die noch immer über den Gasträumen wohnt. Zur Junioren-Radsport-WM 1981 in Grimma durfte/musste die Inhaber-Familie das an der Strecke liegende Haus von außen erneuern – und sollte ihm einen anderen Namen geben. Eleonore Hoffmann sträubte sich dagegen – mit Erfolg.

Muldeflut zieht Ballsaal den Boden unter den Füßen weg

Nach dem Mauerfall hängte Mario Hoffmann seinen Karosserieklempner-Beruf an den Nagel und unterstützte seine Eltern ab 1991 beim Umbau des Lokals in eine Speisegaststätte, als Kellner und in der Küche. Am 1. April 2002 übernahm er schließlich das Gewerbe, doch sein Start wurde von zwei Ereignissen überschattet. Zunächst erlitt seine Mutter Tage später einen Schlaganfall, und im August kam die Muldeflut. Nicht nur die Gaststätte, auch sein Wohnhaus in der Frauenstraße stand unter Wasser. „Da brach für mich eine Welt zusammen.“ Das Lokal konnte Hoffmann aber dank umfassender Hilfe schon zwei, drei Wochen später wieder öffnen und ließ ein Jahr später eine Komplettsanierung folgen.

Heute beschäftigt Mario Hoffmann, der nicht am traditionellen Namen rütteln will, eine Köchin und eine Kellnerin im 50-Plätze-Gasthaus und ist zufrieden mit dem Geschäft. Er bietet deutsche Küche, die Sülze nach der Rezeptur seiner Großmutter ist immer noch ein Markenzeichen des Hauses mit der Wein berankten Fassade. Einer seiner zwei Söhne hat übrigens Koch gelernt und arbeitet im Leipziger Ratskeller. „Von ihm hole ich mir immer mal ein paar Tipps“, verrät Hoffmann. Ins Geschäft wolle der Junge aber nicht einsteigen.

 

Seit 100 Jahren ist das Grimmaer Traditionslokal „Vogel’s Ballhaus“ in Familienhand von Mario Hoffmann. Er führt das Haus seit 2002. Quelle: Frank Prenzel

Vogel’s Ballhaus in Grimma: Die Gewerbeanmeldung von Otto Kötz von 1919.

Ein Foto mit Otto Kötz, der die heutige Familientradition begründete.

Ballsaal 1936

Eleonore Kötz führte „Vogels’s Ballhaus“ in Grimma in dritter Generation, auch durch DDR-Zeiten.

Der Chef mit einem historischen Bild aus der Anfangszeit.